Feiner Wein und slawisch inspirierte Küche: Das Wirtshaus im Herzen von Udine feiert die kulinarische Kultur der Region Friaul im Nordosten Italiens.
Es gibt einige Gründe, aus denen man bedauern könnte, nicht in Udine zu leben, diesem ersten, köstlichen Vorgeschmack auf Italien gleich auf der Südseite der Julischen Alpen. Die gepflasterten Piazzas der friulanischen Stadt gehören dazu und die pastellfarben getünchten Häuser mit ihren Arkaden und Fensterläden. Aber auch das Stimmengewirr und Lachen, das abends nach Geschäftsschluss zuverlässig die Altstadtgassen füllt, wo die Menschen zusammenkommen. Einfach so, weil der Tag sich dem Ende zuneigt und man gerne noch etwas trinkt und plaudert, bevor es nach Hause geht. Tajut heißt so ein gemeinsames Glas Wein im Udineser Dialekt, und getrunken wird es am liebsten in schlichten, traditionsreichen Osterien wie dem „Al Canarino“.
In der Vitrine locken feine Häppchen
Im „Canarino“, das Familie Boel in dritter Generation führt und das so heißt, weil die Nonna, die Großmutter, Kanarienvögel liebte, sind die Holztische blank geschrubbt. Auf dem Bildschirm in der Ecke läuft ein Fußballspiel, und niemand muss verabredet sein, um sich willkommen zu fühlen. „Ciao Franco, einen Bianchetto für dich?“, ruft Wirt Andrea Boel dem Pensionär im Kurzarmhemd zu, der mit Hund an der Leine eintritt. Franco bekommt ein Glas vom offenen Friulano, dem frischen – früher als Tocai bekannten – Weißwein der Region, und als Grundlage dafür ein Schälchen mit Polpette, gebratenen Fleischbällchen. In der Vitrine sind weitere Stärkungen aufgebaut: Tartine – dick mit Coppa, Schinken oder Sardellen belegte Brotscheiben –, süßsauer marinierte Sardinen, goldgelb gebratene Frittata.
An den Tischen sitzen Kartenspieler, ein Händchen haltendes Paar, ein einzelner Ingenieur. Ein Inder verzehrt mit Appetit einen Teller Cjarsons, friaulische Ravioli, die mit Mangold, Rosinen und Nüssen gefüllt sind und mit brauner Butter, etwas Zimt und geräucherter Ricotta serviert wird. Es ist ein Gericht, in dem sich Süßes mit Herzhaftem vereint und Mediterranes mit Slawischem, wie so oft im Friaul, dieser Region im äußersten Nordosten Italiens, bei der man das Gefühl hat, sie wolle einfach auf nichts verzichten – Ost und West, Alpen und Mittelmeer, Grandezza und italienische Leichtigkeit. Das hat neben geografischen auch historische Gründe, denn im 19. Jahrhundert zählte die Region ein paar Jahrzehnte lang zu Österreich-Ungarn. Friauls Hauptstadt Triest war der wichtigste Seehafen des Habsburgerreichs – und Sitz der Kriegsmarine! Noch heute werden in Triest mit seinen Kaffeehäusern im Wiener Stil, dem Schloss Miramare und den Palazzi entlang des Canal Grande viele Sprachen gesprochen.
Zum Friaul gehört auch die Adria mit ihrer Fischküche
Kulinarisch sorgt die multikulturelle Prägung für viel Köstliches. Im hübschen Städtchen Cormons etwa, wo Andrea Osvaldo den besten Schinken weit und breit macht. Geräuchert über Kirsch- und Lorbeerholz. Eine Provokation im Friaul, wo sich alle immer für den berühmten San-Daniele-Schinken interessieren, der aus dem gleichnamigen Städtchen nördlich von Udine stammt. Und der ist luftgetrocknet. Doch die Idee mit dem Räuchern hat Andreas Urgroßvater, ein Viehhändler, aus Österreich-Ungarn mitgebracht, wo Fleisch durch eine Kombination aus Salzen und Räuchern konserviert wurde.
Auch ein Stück Adriaküste gehört zum Friaul. Das Highlight dort: Grado. Das ehemals kaiserliche Kurbad liegt auf einer lang gezogenen Laguneninsel und hat nicht nur endlose Sand- strände, sondern auch ein verwinkeltes historisches Zentrum und einen richtigen Hafenkanal. Dort schaukeln die Boote der Grado- Fischer, die jeden Morgen auf dem kleinen, überdachten Markt versteigern, was sie aus Meer und Lagune ziehen – Seebarsch und Flunder, Aal und Meeräsche, Heuschreckenkrebs und Braune Venusmuschel. Und in ihrem eigenen Restaurant zu Fritto Misto und zur Fischsuppe Boreto verarbeiten. Buon appetito! Annette Rübesamen
Wer mit italienischer Küche vor allem Pasta, Pizza und Risotto verbindet, wird im Friaul Augen machen: Die große Spezialität der Region ist der Frico, eine Art dicker Kartoffelpuffer, der aus geriebenen, gekochten Kartoffeln mit reichlich Montasio-Käse in der Pfanne gebraten wird. Ein sättigendes Wintergericht, das meistens mit Polenta gereicht wird, einem dicken Brei aus gelbem Maisgries, der auf ein Brett gestürzt und, so will es die Tradition, mit einem Faden zerteilt wird.
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